Seitz Backrohstoffe

Seitz Backrohstoffe

Donnerstag, 28. Mai 2015

An die Kunden, die Billigbrötchen beim Discounter einkaufen

Liebe Verbraucherinnen und Verbraucher, liebe Discounter- und Backshop-Kunden,
mein Brief an Sie handelt nicht von einem actionreichen Endzeitspektakel, sondern es geht um eine stille, jahrzehntelange und folgenreiche Veränderung unserer Lebensverhältnisse.
Wir Bäcker und Bäckerinnen gewinnen den Eindruck, aktuell zu den Hauptdarstellern dieser „Schlacht" zu gehören.
Es ist eine "Schlacht", bei der Brötchen immer billiger und zu Attrappen werden, bei der Bäcker und Bäckerinnen, die mit Herzblut dabei sind, zugrunde gehen.
Mich beschleicht immer öfter der Gedanke, dass viele Menschen in Deutschland unser "Schicksal" teilen.
Als Bio-Bäckerin habe ich eine andere Vorstellung von gutem Brot als Lidl
Was bedeutet es für uns, wenn unzählige Bäckereien, Mühlen, Metzgereien, Molkereien, Fischer, Schuhmacher, Schneider, Tischler, Gas- und Wasserinstallateure, Rundfunk- und Fernsehgerätemechaniker, Steinmetze, Schmiede und zahlreiche bäuerliche Betriebe aus unseren Dörfern und Städten verschwinden?
Ganze Berufe verschwinden, und damit auch Wissen und Kultur. Welche Bedeutung hat das für Sie ganz persönlich? Das interessiert mich.
Ich versuchte Antworten zu finden, als ich vor ein paar Wochen an einem Lidl-Markt vorbeikam.
Der Discounter hatte gerade seine „Qualitätskampagne" gestartet, also habe ich kurzerhand dort gestoppt. Lidl wirbt mit dem Slogan „Woran erkennt man eigentlich gutes Brot?" - das wollte ich mir genauer ansehen.
Der Blick auf die einzelnen Zutatenlisten der Brote und Gebäcke im gläsernen Klappen-Shop des Discounters überraschte mich. Sie waren noch länger als ich vermutet hatte.
Offensichtlich habe ich als (Bio-)Bäckermeisterin ein anderes Verständnis von "guten Zutaten" als der Discounter.
Lidl-Kunde sagt: "Die Brötchen sind genauso gut oder schlecht wie die vom regionalen Bäckereifilialisten, nur eben billiger"
Ich kam mit einem Ehepaar ins Gespräch, das konzentriert versuchte, Gebäckstücke aus der Auslage zu angeln. Ich wollte von ihnen wissen, ob die Brot-Zutaten für sie ein Merkmal für "gute Qualität" seien.
„Nö", kam prompt als Antwort, „die sind genauso gut oder schlecht wie die vom regionalen Bäckereifilialisten, nur eben billiger".
Zu der kleinen, in der Region für gute Qualität und echte Handwerksarbeit bekannten Bäckerei im nächsten Dorf fahre man nur, wenn man sich was Besonderes gönnen wolle.
Dass der Einkauf bei Lidl Arbeitsplätze im lokalen Handwerk kosten könne, sei dem Mann schon klar. Aber sein Arbeitsplatz als Rundfunk- und Fernsehgerätemechaniker sei schließlich auch dem "Billig-Wahn" seiner Mitmenschen zum Opfer gefallen.
Alles nicht schön, aber so sei das nun mal.
Gentechnisch veränderte Mikroorganismen passen nicht zu Bäckern
Eine ähnliche Aussage traf kürzlich auch ein Wissenschaftler und Getreideexperte am Rande einer Fachtagung. Ich hatte mit ihm ein Gespräch über die Verwendung technischer Enzyme bei der Herstellung von Backwaren geführt.
Diese Enzyme werden von der Berufsorganisation Die Bäcker. Zeit für Geschmack e.V., deren Vorstandsvorsitz ich ehrenamtlich inne habe, aus verschiedenen Gründen kritisch beurteilt.
Diese, meist mit gentechnisch veränderten Mikroorganismen produzierten, „Alleskönner" passen nicht zu Bäckern, denen es am Herzen liegt, ihr Handwerk in allen Einzelheiten zu beherrschen.
Denn von diesem Können hängt unsere Souveränität als Handwerker und Handwerkerinnen ab.
Zu meinem Erstaunen erklärte mir mein Gesprächspartner, der diesen „Helfern" positiv gegenüber steht, dass er persönlich auch Brötchen vorziehe, die frei von diesen technischen Hilfsstoffen sind.
Billige Lebensmittel für die, die sich ‚hochwertige' nicht leisten können?
Für ihn sei der höhere Preis, der sich durch die aufwändigere Herstellung ergebe, schließlich kein Problem.
Aber - man bräuchte eben billige Produkte für die, die sie sich wirklich gute Lebensmittel nicht leisten können.
Solche Argumente höre ich immer wieder, zum Beispiel von den wenigen, großen Saatgutkonzernen, aus der Politik und schließlich auch von unseren Nachbarn.
Das konsequent zu Ende gedacht heißt: Wir können uns den ‚Luxus' handwerklicher Lebensmittelherstellung nicht leisten.
Wir sollten also den Rest der Handwerksbetriebe auch noch abschaffen, einschließlich der Arbeitsplätze, um die Schlangen an den Kassen bei Aldi, Lidl & Co zu verlängern? Eine absurde Logik, die (fast) alle betrifft.
Ein Großteil der Backbetriebe hat fachliche Kompetenz und Glaubwürdigkeit eingebüßt
Ich frage mich in diesen Tagen immer wieder: Was ist nur mit der ‚Zeit' geschehen? Zeit und damit auch Erfahrung, Wissen und handwerkliche Fertigkeiten sind für die Qualität unserer Arbeit prägend.
Handwerker sind nach meinem Verständnis Menschen, die ihre Arbeit mit Begeisterung und Leidenschaft meistern und sie um ihrer selbst willen gut machen wollen.
Doch durch den Einsatz industrieller Vorprodukte (komplexe Backmittel, technische Enzyme, Vormischungen, Teiglinge oder sogenannte funktionelle Mehle) hat ein Großteil der Betriebe des Backhandwerks fachliche Kompetenz eingebüßt.
Aber nicht nur die: auch Individualität, Unabhängigkeit, Glaubwürdigkeit. Und damit auch den Stolz auf die eigenen Fähigkeiten.
Das Problem mit dem Weizen
Der Einsatz von Technik, selbstverständlich auch im Handwerk, ist bis zu einem gewissen Punkt sinnvoll. Wenn es darum geht, alle Menschen ausreichend - und nachhaltig! - zu versorgen.
Ein wesentliches Charakteristikum industrieller Verfahrenstechnik ist die Anpassung der Rohstoffe an die Herstellungsprozesse. Dies beinhaltet Gefahren.
Ich möchte dies an einem Beispiel erklären.
Derzeit stehen das - nach unserer Ansicht nicht sachgerechte – Kriterium, der Höhe des Proteingehaltes, für die Qualität und damit auch für den Handel mit Weizen in der Kritik.
Gleichzeitig gibt es eine Diskussion um die Reduzierung der Stickstoff-Düngung.
Wie hängen diese beiden Themen zusammen und was hat das nun mit den Brötchen, Schrippen und Semmeln zu tun, die Sie zum Frühstück verzehren?
Vor allem Backwarenhersteller, deren industrielle Verfahrenstechnik Teige in hohem Maße mechanischen und/oder chemisch-physikalischen Belastungen aussetzt, verlangen Mehle mit hohen Proteinwerten.
Um die entsprechenden Weizenqualitäten zu ernten, wird im konventionellen Anbau mit einer Stickstoff-Grundversorgung und einer "optimierten" Spätdüngung der Proteingehalt gesteigert.
Aus der dadurch verursachten Nitratbelastung unserer Gewässer erwächst eine Kostensteigerung für die Aufbereitung unseres Trinkwassers.
Apropos Kostensteigerung. Es gibt da auch noch eine Wettbewerbsverzerrung, die Bäckern das Leben erschwert und von der Sie vielleicht gar nichts wissen.
Es geht um (versteckte) Subventionen für industrielle Unternehmen und überzogene bürokratische Reglementierungen handwerklicher Betriebe. Sie müssen beendet werden. So zahlen zum Beispiel Großbetriebe, die u.a. vorgefertigte Backwaren für den Lebensmitteleinzelhandel und Discount herstellen, eine reduzierte Ökostrom-Umlage.
Die Begründung lautet, man dürfe die internationale Wettbewerbsfähigkeit dieser Unternehmen nicht aufs Spiel setzen. Ich möchte das Problem mit einem etwas überspitzten Bild beschreiben.
Proteinstarke Mehle werden gebraucht, um damit "billige" (weil eine Reihe von Kosten externalisiert wird), großvolumige, geschmacklose Backshop-Brötchen zu produzieren. Diese treten in Konkurrenz mit Brötchen von Handwerkern, die regional und nachhaltig angebautes Getreide mit höherem Personaleinsatz schonend verarbeiten.
Wir können uns also teure Lebensmittel nicht leisten? Ein Irrglaube!
Was wir uns zweifellos nicht leisten können ist scheinbar billige, aufgeblasene Massenware im Discount. Mit ihrer ‚Effizienz-und-Wachstums-Ideologie' setzt zusätzlich die Politik fortlaufend die falschen Signale. Um Lösungen zu entwickeln sollten wir unsere Geschicke selbst in die Hand nehmen.
Die letzte Schlacht gewinnen wir...
(Zitat: Song von Ton-Steine-Scherben, 1972)
... wenn wir uns unsere Souveränität als unabhängige Handwerker und Handwerkerinnen erhalten.
Bei wirklich handwerklicher Verarbeitung werden die Herstellungsverfahren - auf der Basis des Zusammenspiels von Wissen, Erfahrung und handwerklichen Fertigkeiten - an die Rohstoffqualität angepasst.
Dieser Dreiklang bildet die Grundlage für unsere Unabhängigkeit als Lebensmittelhandwerker und Handwerkerinnen. Nach meinem Selbstverständnis als Bäckermeisterin gehört dazu, dass Gebäcke nichts beinhalten, was ihre Herstellungsprozess und Qualität artifiziell beeinflusst.
Mit einer angepassten Herstellungstechnik können wir uns auf nachhaltig und regional erzeugte Rohstoffe (mit niedrigeren Proteinwerten) einstellen.
Liebe Kunden, wenn wir darstellen können, was die Qualität unserer Brote ausmacht, sind Sie dann bereit einen angemessenen Preis zu zahlen?
Qualitätsschwankungen, die insbesondere dann auftreten, wenn wir mit wechselnden Qualitätsprofilen regionaler Rohware klar kommen müssen, können wir in kleineren Betrieben einfacher kommunizieren.
Liebe Kunden, wenn wir Ihnen nachvollziehbar darstellen können, was die Qualität unserer Brote, Kleingebäcken und süßen Backwaren ausmacht, sind Sie dann bereit einen angemessenen Preis zu zahlen?
Sie und Ihre Kinder auf den Acker, in die Mühle oder in unsere Backstuben mitzunehmen, Ihnen ehrlich Rede und Antwort zu stehen bedeutet mehr Arbeit.
Uns wäre geholfen, wenn wir bei dieser "Bildungsarbeit" Unterstützung durch die Politik erhalten würden! Und - das Thema ‚Ernährung' gehört in Praxis und Theorie endlich wieder in die Kindergärten und Schulen.
Erfahrung und Wissen bilden die Grundlage für die Wertschätzung unserer Lebensmittel und damit auch für deren Erzeuger und Hersteller.
Wir wollen gutes, gesundes Brot für alle backen...
... nicht nur für die, die es sich noch „leisten" können. Es ist Zeit umzudenken und gemeinsam umzulenken. Wir brauchen neue, lokale/regionale und nachhaltige Versorgungssysteme.
Dazu gehören auch viele, neue kleine Bäckereien in den Orten, in denen es keine Arbeitsplätze und kein lebendige Gemeinsamkeit mehr gibt. Neue Wege werden bereits markiert - von Initiativen wie der solidarischen Landwirtschaft, Food Assembly, den biologischen Pflanzenzüchtern, der Transition-Town-Bewegung, dem Terra Madre Netzwerk und der Initiative 10.000 Gärten für Afrika von Slow Food.
Um unsere Situation zu ändern müssen wir unsere Geschicke gemeinsam in die Hände nehmen.
Quelle: Anke Kähler

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen